Heimisch werden

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Jorga zog den Karren, als hätte er seinen Lebtag nichts anderes getan und gehorchte Gavín aufs Wort. Oder eher, auf die Zügel? Wie auch immer, sie waren von dem Vulkan heruntergeklettert und hatten den Weg nach Erdhawyrst eingeschlagen, vorbei an der Tempelanlage und durch die Tore der Stadt auf zur Herberge von Vellara.

Die Sonnenelbin trug nur leichte Bekleidung für die Wärme, die sich gerade in der Stadt breitmachte. Der Sommer erstarkte bereits und ließ die Stadt sich erwärmen. Manchmal war es noch kühl in der Nacht, aber auch hier merkte man, wie der Frühling in den Sommer überging.

"Willkommen, Freunde." Sie begrüßte Freyrín und Gavín mit einem Lächeln und erblickte sogleich das heilige Zeichen der Druiden auf seiner Brust. "Ein Grund zur Freude und zur Feier, junger Master Gavín?"

"Bitte, nur Gavín.", nickte er mit einem gequälten Lächeln. "Meine Mutter ist die Meisterin."

"Das mag sein, aber wie du wünscht. Oder soll ich Ihr sagen?"

"Nein, du ist völlig in Ordnung."

"Wunderbar. Also wie immer zwei Zimmer und Pflege für euren Jorga?" Dabei schaute sie zwischen Mutter und Sohn hin und her, welche beide nickten. Gavín versuchte nicht allzu offensichtlich auf die Reize der elbischen Frau zu schauen und schämte sich sogar ein wenig, wo er doch immer noch versuchte, mit den stechenden Herzschmerzen zu leben.

"Ja." Freyrín legte ein paar Deut auf den Tresen. "Für zwei Tage. Wir wollen Gavín bei der Universität einschreiben und länger werde ich auch nicht bleiben. Meine Pflichten drängen mich wieder aus der Stadt."

"Verständlich, Druiden sind..." Vellara sprach ein paar Worte, die Gavín noch nie gehört hatte, die aber Freyrín erröten ließen.

"Danke.", hauchte seine Mutter und zumindest wusste Gavín, dass es keine Beleidigungen gewesen waren. Vielleicht ein Lob?

"Nicht dafür." Vellara strich die Deut ein. "Die beiden letzten Zimmer auf der rechten Seite sind die euren. Also sie liegen sich gegenüber. Und heute Abend betrinken wir den neuen Druiden."

 

~~

 

Wieder ragte das Gebäude der Universität vor ihnen auf und Gavín wurde über Umwege und durch das Vorzeigen des sehr lädierten Briefes in Form einer kleinen Pergamentrolle durch die verschiedenen Gänge und Zimmer geschickt, bis er schlussendlich doch auf den dicken Teppichen in dem multifunktionalen Bereich stand, was der Dekan Rogíer als seine Wohnstatt hatte.

Der Dekan war gerade nicht zugegen, aber die zierliche Frau, die Gavín zuerst als seine Assistentin vermutete, ließ ihn in der altbekannten Sitzgruppe Platz nehmen und brachte ihm wohltuenden Kamillentee, den er ungesüßt trank. Honig gab es zwar, aber irgendwie war ihm nicht danach.

Nach etwa einer Stunde wurde Gavín etwas langweilig und er begann, die Buchrücken zu inspizieren, die er in den Regalen fand. Keines davon sagte ihm viel, aber die goldenen und silbernen Buchstaben auf den ledernen Einbänden fand er sehr hübsch.

Nach zwei Stunden Wartezeit hatte er alle Bücher inspiziert, war beeindruckt und schaute sich die Werkbank etwas näher an, als die Tür aufflog und Dekan Rogíer hereingestürmt kam mit wehenden Roben, mehreren Pergamenten unter dem Arm und einem langen Brief in der Hand, den er im Gehen las.

"Master Gavín!", rief er, ohne innezuhalten oder von seinem Brief aufzuschauen. "Überpünktlich, wie mir scheint."

"Verzeihung?" Gavín fühlte sich seltsam ertappt, obwohl er eigentlich nichts getan hatte.

"Kommt, kommt!" Der Dekan winkte ihm mit einer Hand. "Ihr seid überpünktlich. Meiner Erfahrung nach kommen Leute mit ihren Versprechen erst kurz vor knapp an. In Eurem Fall zwei Jahre und ein Tag, aber bei Euch sind es nicht einmal zwei Jahre."

"Ihr erinnert Euch also." Gavín folgte dem Mann über die Teppiche zu seinem Schreibtisch. Rogíer roch nach Metall und etwas Schweiß, als käme er gerade aus einer Werkstatt.

"Fluch und Segen großer Köpfe." Der Dekan sortierte die Schriftrollen in ein Fach und legte den Brief beiseite, beschwerte ihn mit einem Stein, damit er offen blieb. "Und wie ich sehe, seid auch Ihr nicht untätig gewesen." Dabei deutete er auf das Druidenabzeichen.

"Das ist richtig. Aber es war nicht so einfach, dem ging eine ganz andere Geschichte voraus."

"Wie das immer so ist." Rogíer winkte ab. "Aber dafür bin ich der falsche Ansprechpartner. - Also, habt Ihr die dreißig Golddeut zusammenbekommen? Wartet, natürlich habt Ihr sie, sonst wärt Ihr nicht hier."

"Ist es schon einmal vorgekommen, dass jemand Euch um Geld bat, um hier studieren zu können?", fragte Gavín und holte das schmale Kästchen hervor, was er von Dragnar aus Methellona bekommen hatte. Es war aufgebaut worden wie er es bestellt hatte und konnte nur von ihm geöffnet werden. Seine Abenteuer hatten kleine und große, flache und tiefe Furchen in dem harten Holz und den Eisenbändern hinterlassen, aber sie war immer noch intakt. Es hatte sich eine beachtliche Menge Gold in dem Kästchen angesammelt, zumindest für einen so jungen Mann wie Gavín, zweiundfünzig Golddeut waren zusammengekommen. Mehr, als er wohl irgendwann brauchen würde.

"Ja, ein einziges Mal. Da es eine minimale Menge war, konnten wir es entbehren und er hat es mit Zinsen zurückgezahlt. - Wie ich sehe, habt Ihr Euch auch darum gekümmert, Euer Geld zu wahren. Habt Ihr diese Truhe hergestellt?"

"Ich würde sie nicht als Truhe bezeichnen, aber nein. Dazu reichen meine Fähigkeiten nicht aus. Ich habe einen Schmied beauftragt, diese Kiste herzustellen nach meinen Spezifikationen und einen Magier, der den Kristall im Inneren mit Magie füllt."

"Ah. Nun denn, wie auch immer. Reicht mir das Schreiben."

Gavín tat es, der Dekan entrollte das Schreiben und setzte seine Unterschrift auf die letzte der Linien. Damit war der Vertrag rechtskräftig.

"Damit geht Ihr nun zum Finanzier und bezahlt Euren Beitrag. Der Finanzier wird Euch eine Quittung ausstellen, mit der Ihr zur Verwaltung geht. Dort werdet Ihr eingeschrieben und sobald Ihr Euren Vertrag habt, seid Ihr offiziell Teil der Universität ab dem Zeitpunkt der Vertragslaufzeit. Wie lange Ihr studiert, hängt von Euch ab und ob Ihr es Euch leisten könnt oder wollt. Wir werfen Euch nicht raus, nur weil Ihr lange studieren wollt." Rogíer faltete seine langen Finger auf dem Schreibtisch. "Noch Fragen?"

"Nein, ich denke nicht... uhm, vielleicht, was Unterkunft und dergleichen angeht..."

"Das wird Euch alles gezeigt."

"Gut, dann..." Er bekam das Schreiben gereicht und verstaute es sorgfältig neben dem kleinen Kästchen in seinem Beutel. "Werde ich Euch nicht weiter behelligen."

"Oh, ich hoffe, dass wir uns öfter sehen." Ein schalkhaftes Glitzern trat in die Augen des Mannes. "Wir haben bisher noch keinen echten Druiden als Schüler gehabt."

"Ist das so?" Gavín schmunzelte. "Dann hoffe ich, dass ich Euch nicht enttäusche. Aber sagt, da ich nun Druide bin, bestünde die Möglichkeit, meine Dienste der Universität oder den Schülern zur Verfügung zu stellen gegen ein kleines Entgelt?"

"Und was schwebt Euch da vor? Wollt Ihr in der Medica arbeiten oder Ihr sogar Konkurrenz machen?"

"Am einfachsten wäre, ich würde in der Medica arbeiten. Man könnte sich dort gegenseitig helfen und ich wäre eine weitere Kraft, die Dinge übernehmen kann."

"Dann solltet Ihr das mit dem Vorstand der Medica besprechen. Solange Ihr es nicht illegal betreibt, sehe ich da kein Problem. Noch etwas?"

"Nein, Dekan." Gavín lächelte leicht, klopfte auf den Beutel. "Habt vielen Dank."

Der Dekan nickte nur und deutete mit seiner Hand auf die Tür, welche Gavín mit einer letzten Verbeugung rasch nahm. Am Empfang wurde er zum Finanzier geleitet, der ihn seltsam anschaute, ihm aber die dreißig Goldmark abnahm und ihm die Quittung ausstellte, die er bei der Verwaltung - welche beinahe ein ganzes Haus in Beschlag nahm - einreichte und einen Vertrag bekam, der zwanzig dicht beschriebene Seiten umfasste.

Damit war Gavín nun Teil der Universität zu Erdhawyrst.

Am Abend zeigte er seiner Mutter den unterschriebenen Vertrag und sie umarmte ihn freudig. Später stieß auch Sillana dazu und gemeinsam mit Vellara und ihrem Sohn feierten sie im kleinen Kreis dieses Ereignis. Für Gavín war es auch nicht mehr und nicht weniger wert als die Ernennung zum Druiden, also ein wichtiger Schritt zu seinem Traum und ein weiterer Schritt zur Erreichung seiner Ziele.

Doch zuerst brauchte er eine Unterkunft und seine erste Ausstattung. Sillana schickte ihn zu ein paar Leuten, die sie von früher noch kannte und Gavín konnte bei ihnen Botengänge erledigen, die er schon aus seiner Zeit bei den Silberfischen kannte. Nur dieses Mal waren sie legal und weitaus weniger gefährlich.

Er bekam in der Universität eine Unterkunft - sein erstes, richtiges, eigenes Bett! - und konnte sich von den Botengängen nach einer Weile eine kleine, aber feine Ansammlung an Federn, zwei Tintenfässern, verschiedene Tinten, ein paar lange Rollen Pergament und ein paar Dutzend Blätter Pergament, einen gebrauchten Tintenlöscher und einen weiteren Satz Kleidung plus ein warmes Paar Schuhe kaufen.

Freyrín fehlte ihm nach einer Weile, genau wie Jorga. Er hatte nicht geahnt, wie still es in einem Zimmer sein konnte, wenn außer ihm niemand anwesend war. Kein zweiter Atem, keine Körpergeräusche, keine Bewegung, nur sein eigener Atem und das Blut, welches er in seinen Ohren rauschen hörte.

Sillana war ihm eine große Hilfe dabei, soweit sie denn überhaupt anwesend war. Ihre Kurse gingen meist bis in den späten Nachmittag hinein, ihre Arbeit als Fundsicherin beanspruchte sie zusätzlich und meist war sie abends dann nur noch kurz zu einem Nachtmahl zu überreden, wenn sie denn noch wach war.

Nach und nach gewöhnte sich Gavín an die doch sehr statische Atmosphäre in der Universität. Er war es gewohnt, dauernd unterwegs zu sein, immer auf der Straße, immer woanders, nur selten länger als eine Woche an einem Ort zu verharren.

Eine Woche vor Beginn des Unterrichts für die Neulinge stellte sich Gavín bei der Medica vor. Sie prüften ihn zwei Tage lang auf Herz, Nieren und an Patienten, bevor sie ihm anboten, erst einmal Helfer zu sein und später eventuell bei ausreichender Kompetenz auch die Behandlung zu übernehmen. Entsprechend war die Entlohnung, was Gavín über Wasser halten würde, ohne ihn allzu sehr zu belasten finanziell.

Wie es zeitlich aussehen würde, musste man abwarten.

Dass er sich allerdings direkt in den ersten Wochen Feinde machen würde, hatte niemand ahnen können.

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